SimultanProjekte 2021
12.06. – 04.09.2021
Für seine Arbeit Gleichzeitigkeiten installiert Felix Kindermann während der Laufzeit der SimultanProjekte Mikrofone im Treppenhaus des Museum Ludwig. Diese übertragen die Geräusche des Raums und der Menschen im Museum, live in die Simultanhalle. So werden die Menschen im Museum sowie die Architektur des Museum Ludwig und der Simultanhalle Material und Medium der künstlerischen Arbeit. Die Mikrofone und die Wiedergabe des gesendeten Signals sorgen dafür, dass die übertragenen Geräusche die klangliche Realität verzerren und zu einer Textur verschmelzen, die in ihrem Ursprung unbestimmt bleibt. Gleichzeitigkeiten verhandelt als akustisches Experiment die körperliche sowie historische Verbindung beider Räume und stellt Fragen über deren inhärente Beziehung zueinander. In Zeiten körperlicher Trennung und gesellschaftlicher Verwerfungen hinterfragt Gleichzeitigkeiten unsere menschlichen Beziehungen im Grenzbereich zwischen körperlicher Erfahrung und digitaler Repräsentation. Wie die aktuelle Pandemie deutlich gemacht hat, sind wir als Menschen alles andere als unabhängig, sondern durch unsere Körper, Stimmen und sozialen Strukturen miteinander verbunden.
Am 29.07. wird Kindermanns Performance Choir Piece (2019–) im Museum Ludwig aufgeführt, die als akustischer Live-Stream digital in die Simultanhalle übertragen wird und so die Installation Gleichzeitigkeiten pointiert aktiviert. Felix Kindermann versteht Choir Piece als eine lebende Skulptur, welche aus einem 16-stimmigen Chor besteht. Sie basiert auf der 2018 von der New Yorker Komponistin Natalie Dietterich erarbeiteten Composition for Separated Musicians. Dietterichs modulare Komposition ermöglicht es den 16 Sänger:innen, sich unabhängig durch den Ausstellungsraum zu bewegen, sich selbst als gemeinsamen Körper wahrzunehmen, zu reflektieren und endlos zu reformieren. In Choir Piece verfügen alle Sänger:innen über das gleiche modulare kompositorische Material. Sie sind dabei in ihrer Bewegung und der zeitlichen Anordnung der Komposition autonom. So basiert die Komposition auf einer aleatorischen Gleichzeitigkeit ihrer Bestandteile. Es entsteht ein akustisches Gefüge im Spannungsfeld von Zusammenhalt, Individualität und Distanz, Abhängigkeit und Eigenständigkeit, dass ausgehend vom Begriff der Skulptur Fragen nach Zugehörigkeit und Identität in einer gegenwärtig zunehmend fragmentierten Gesellschaft stellt.
Die in der Komposition angelegte produktive Gleichzeitigkeit wird durch die Live-Übertragung auch auf die Ebene der Rezeption überführt. Durch dieses Moment der simultanen Übertragung vom einen in den anderen Raum, eröffnet sich für die Besucher:innen erstmals das Dilemma zweier Möglichkeiten. Sie können die Arbeit live als Performance im Museum Ludwig oder hingegen als Klanginstallation an der Simultanhalle erleben. Gleichzeitigkeiten verweist auf den jeweils anderen Ort, da es den Rezipient:innen niemals möglich ist, die gesamte Arbeit in beiden Gebäuden zugleich wahrzunehmen. Als Betrachter:innen der Mikrofone tragen die Besucher:innen im Museum durch ihre akustische Präsenz im Raum unweigerlich zur Klangübertragung bei. Oder aber sie werden zu Beobachter:innen eines akustischen Raums im Raum, wenn sie den Klang des Museum Ludwig in der Simultanhalle hören. Da die sanierungsbedürftige Simultanhalle wegen Einsturzgefahr geschlossen ist, belebt der Gesang auf den Lautsprechern den Innenraum der Simultanhalle, während er für die Besucher:innen über die dünnen Wände als Membran nach Außen transportiert wird und damit die gleichzeitige, jedoch entgegengesetzte Entwicklung beider Orte aufgreift.
Die 1979 im Kölner Vorort Volkhoven/Weiler errichtete Simultanhalle diente bis 1984 als architektonischer Vorentwurf und Testraum während des Museumsbaus im Kölner Zentrum. Somit wurden Erfahrungen und Erkenntnisse am Modell unmittelbar auf die Architektur des Museums übertragen. Mit der Fertigstellung des Museums entwickelten sich die beiden Räume in entgegengesetzte Richtungen: Während das Museum Ludwig zu einem der bedeutendsten Kunstmuseen in Europa avancierte, entwickelte sich die heute baufällige Simultanhalle zu einem autonomen Off-Space in der Peripherie, der stets eine Perspektive von außen auf den Kunstbetrieb setzte. Mit der Arbeit Gleichzeitigkeit werden die beiden Räume unmittelbar miteinander verbunden und treten als Komplex erneut in eine Beziehung zueinander, wobei das Museum selbst durch die Übertragung zum Objekt der Rezeption an der Simultanhalle wird.
Leon Jankowiak, Lisa Oord
* 1978 in Köln, lebt in Brüssel
Gleichzeitigkeiten
2021, 2-Kanal
Soundinstallation
(Mikrofone, Kabel, Sockel)
Akustische Übertragung zwischen Museum Ludwig und Simultanhalle. Kunstspäti mit Performance „Choir Piece“.
Gleichzeitigkeiten ist eine Kooperation zwischen Simultanhalle – Raum für Zeitgenössische Kunst e. V. und den jungenkunstfreunden der Freunde des Wallraf-Richartz-Museums und des Museum Ludwig e.V.