SimultanProjekte 2024
01.06. – 14.09.2024
“Nothing is so painful to the human mind as a great and sudden change.” Mary Shelley, Frankenstein; or, The Modern Prometheus (1818)
Wenn der eigene Körper von einer radikalen Veränderung betroffen ist, diese Veränderung als ungewollt, unerfreulich und sogar als painful in Erscheinung tritt, dann können daraus Empfndungsmomente des Schauderns, Grau(s)ens und Entsetzens (lat. horror) entstehen. Die meist mit solchen Gefühlen einhergehende Transformationsphase der Pubertät lässt sich als das wohl alltäglichste Beispiel von am eigenen Leib erfahrenem Körperhorror bezeichnen. Im engeren und fachspezifschen Sinne fungiert Körper bzw. Body Horror (oder Biological Horror) seit den 1980er Jahren als Genrebegriff für Filme, die sich an der Schnittstelle von Horror und Science-Fiction bewegen: grauenvolle wie schmerzhafte, teils fantastische, aber vor allem als unkontrollierbar erfahrene Mutationen, Deformationen oder Metamorphosen werden inhaltlich verhandelt. Dabei mutieren Protagonisten zu Insekten wie in „The Fly“ (1986) von dem als Genrepionier geltendem David Cronenberg. Oder Konglomerate aus Mensch und Maschine entstehen, was Katsuhiro Otomo in seinem Animeflm „Akira“ (1988) vor Augen führt. Auch das vielfach flmisch adaptierte, jüngst in „Poor Things“ (2023) von Giorgos Lathimos zitierte, originär jedoch auf die Kreativität einer Frau – Merry Shelley – zurückgehende Frankenstein-Narrativ, das die von einem toten Leib ausgehende Re-Kreation eines künstlichen Menschen seitens eines verrückten Wissenschaftlers meint, ist dem männlich dominierten Filmgenre zugehörig. Welchem „Horror“ sind unsere gegenwärtigen (weiblichen) Körper ausgesetzt? Für die Simultanhalle hat Tamara Goehringer zwei neue Arbeiten geschaffen, die auf Basis von Recherche zu dem auf Alltagsebene stattfndendem, vor allem aber flmisch geprägtem Genre des Body Horror entstanden sind. Neben persönlichen und flmischen Referenzen werden in ihrer Installation ebenso wie der Performance Bilder und Narrative gesampelt, die antike Mythologien, psychoanalytische Theorie ebenso wie zeitgenössische Videospiele zitieren. In ihrer zweiteiligen Installation entrelazamos (lancinante) verarbeitet die Künstlerin materielle Elemente wie Silikonimplantate und mundförmige Übungshäute für sog. Microblading. Dabei wird unter anderem auf Pedro Almodóvars Film „La piel que habito“ (2011) rekurriert; zugleich spiegelt sich die in der Arbeit ad absurdum geführte Aktualität von Schönheitskorrekturen und plastischer Chirurgie wider. In unserer durch Selbstoptimierung und Schönheitsmaximierung bezeichneten Gegenwartskultur sind derartige Eingriffe, die die mögliche Folge eines durch gesellschaftliche Vorstellungen erzeugten Körperhorrors sein können, so beliebt wie nie zuvor (siehe Schönheitsoperationen, statista.com). Haben wir die Kontrolle über unsere (gesellschaftlich) geformten Körper verloren? Diese Frage greift die Künstlerin in ihrer Performance skinning implizit auf. Die verschiedenen Facetten des Body Horror werden dabei nicht nur auf inhaltlicher Ebene thematisiert, sondern ebenso auf ihr semantisches (Transformations-)Potenzial hin befragt. Das Spiel mit Worten, Sprache(n) und Klang, das für die künstlerische Praxis Goehringers ganz charakteristisch ist, deutet sich bereits in der Installation mit ihren omnipräsenten Mündern an.
Text: Paula Maß
entrelazamos (lancinante), 2024, verschiedene Materialien (Kissen, Kopf, PVC, Silikon)
skinning, 2024, Performance