24.09. – 22.10.2011
Timothy Shearers Ausstellungen mögen auf den ersten Blick an die Präsentationsweise von Abschlusskollektionen der Modewelt erinnern, werden dem Betrachter doch Stoffe und Kleidung als literale Vokabeln seiner künstlerischen Bildsprache aufgezeigt. Der Einsatz dieser objet-trouvé-artigen Artefakte, ist die Konsequenz, die Shearer aus seiner jahrelangen Auseinandersetzung mit Malerei zieht: sie werden zum Bild selbst, oder zumindest zu einem repräsentativen Teil des Bildes.
Die Ikonographie dieser „bad-taste-Ästhetik“ ist nach Auskunft des Künstlers durch langwierige Studien kultureller bzw. visueller Phänomene gefestigt, und macht in der Musterung seiner Stoffe zugleich Reminiszenzen an das „komische Spektrum der modernen, malerischen Geschichte“, sowie an kaum vergangene Jahrzehnte und ihre Ästhetik. Eine bewusst gewählte Ästhetik, die sich im zeitgenössischen (Mode-) Leben zwischen Geschmacklosigkeit und Hippness bewegt und die Shearers Kunst ein unverwechselbares Äußerliches gibt. Dieses Spiel beherrscht Shearer dank jahrelangem Sammeln und „Produzieren“ ästhetischer Phänomene auf unterschiedlichsten Bild-Trägern, wie in End of Season zu findenden Feuerzeugen, Hemden, Kostümen, T-Shirts oder Jutetaschen.
Doch all dies bezeichnet lediglich die Ästhetisierung der Sichtbarkeit der einzelnen Ausstellungsobjekte, die ihrerseits nur appellativen Charakter haben und die Frage nach dem „Was wird gezeigt“ und „Wie wird präsentiert“ beim Betrachter aufwirft. Die Antwort fällt trotz der Sehgewohnheit, die der an zeitgenössischer Kunst interessierte Betrachter mit künstlerischen Eingriffen installativer Art seit einigen Jahren sammeln kann nicht leicht, und lässt sich nur näherungsweise geben. Der Künstler präsentiert ein Ganzes, bestehend aus verschiedenen (Kunst-)Stationen. Dieses Ganze findet simultan in- und außerhalb des Ausstellungsraumes statt, wenn die außen an der Architektur des Austellungsortes angebrachte Fotografie einer Reproduktion einer Figurengruppe des Parthenon (Hestia, Dione, Aphrodite) eine Art Initiation in das Geschehen von Shearers Installation gibt.
Das Gegenbild zu diesem Initiationsbild ist in dem zwanghaft wiederholten End of Season End of Season End of Season… präsent, das dem Betrachter von einem Monitor in unterschiedlichen Typographien entgegen geschmettert wird. Der Ausstellungstitel ist hier paradigmatisch: Das Ende einer Ära, der Schlussverkauf eines ästhetischen, kulturellen und politischen „Geschmacks“ wird thematisiert und dafür schafft Shearer ein Ereignis für den Betrachter, das nur ein Ereignis vortäuscht. Die Anwesenheit dessen, was uns gezeigt wird, aktualisiert das visuelle Ereignis der Ästhetik einer vergangenen Zeit, dessen Bild die von Shearer ausgestreuten Relikte (Pullover etc., aber auch die griechische Figurengruppe) wach rufen.
Das tatsächlich Geschehen in seiner lebensweltlichen und politischen Dimension bleibt stumm. Bedeutung und Aussage sind verdampft. Hier in der Simultanhalle bleibt nur der Blick auf die Leerformen in ihrer mimetischen Struktur. Kostüme einer längst vergessenen Theateraufführung, Kultur ohne zeitgenössischen Bezug, Signifikate ohne Signifikanten. Das durch Shearers Kunst bereitete Nachahmungs-Ereignis hat dennoch nur scheinbar keinen Rahmen: Die weiß getünchten Wände, Bühne und Schaukasten geben den Raum für seine Inszenierung der Leere.
Die von Shearer vor dem Podest im Ausstellungsraum drapierten Kleidungsstücke sind so angeordnet, dass sie – wären sie mit menschlicher Physiognomie gefüllt – wie ein Publikum in Richtung einer Bühne schauen würden. Doch die Kleidung ist leer, die Anwesenheit eines Publikums ist bestenfalls vorstellbar und vortäuschend; entleerte Artefakte bleiben auf dem Boden zurück, bestückt mit Mustern, die eine „expressive oder graphische“ Malerei nachahmen zu scheinen.
Das wohl Prägnanteste und vielleicht auch Ungewöhnlichste an Timothy Shearers Ausstellung ist die Tatsache, dass sie wie eine Installation gelesen werden kann, die ein Innen und ein Außen hat, während diese räumliche Dialektik einerseits in Shearers Installation aufgeht, und zugleich ununterscheidbar wird. Die Zeitvergessenheit der Artefakte löst sich in der konstitutiven Leere dessen auf, was uns gezeigt wird. Wir wohnen der Nachahmung einer vormals tatsächlichen politischen Handlung bei, die in Shearers Installation zum Nichts des Anzeigens degeneriert ist. Hülle und Form – damit markiert Shearer kritisch die Inhaltslosigkeit dessen, womit jeder Betrachter, auch und gerade außerhalb des Ausstellungsraumes, konfrontiert ist.
Der 1976 in Virginia, U.S.A. geborene Künstler studierte von 1995–2000 Bildhauerei und Malerei an der Virginia Commonwealth University und absolvierte von 2003-2006 sein Studium der Medienkunst an der KHM in Köln.
Dirk Hildebrandt und Rebecca Maria Jäger