30.05. – 26.06.2010
Ausgangspunkt der Ausstellung von Wolf von Kries ist das unmittelbare Umfeld der Simultanhalle, insbesondere der Fußgängerweg und die lang gezogene Brücke zwischen Volkhoven und Chorweiler. Wenn man aus der Simultanhalle über den Volkhovener Weg Richtung Chorweiler läuft, erscheint zur Linken hinter einem Zaun der Bundesverfassungsschutz mit seinen vielen Überwachungskameras und makellos gemähtem Rasen, zur Rechten wild wuchernde Brombeersträucher(1) und andere Gewächse. Wenn man dieses wilde Stück Land einmal umläuft, lassen sich kleine Trampelpfade in sein Inneres entdecken. Als versteckter Treffpunkt, illegale Müllablade und Toilette, bildet der Ort eine art „non-site“ im städteplanerischen Sinne. Dann erreicht man die Brücke, eine lange aufsteigende Bewegung über die Schnellstraßen und Autobahnen, bis nach etwa einem Drittel ein oktaederförmiger Beton-Pavillon in das Sichtfeld rückt, dessen Spitze getöpfert aussieht und mit einem wellenförmigen Dekor versehen ist. Pavillon und Brücke sind mit Tagging, Graffiti und Flechten(2) übersät, die sich bis hinüber nach Chorweiler ziehen, der größten Plattensiedlung Nordrhein-Westfalens. Nach dem Prinzip der Neuen Stadt auf dem Reißbrett bis ins Detail geplant, suchte man die Siedlung – wie in vielen anderen Trabantenstädten der siebziger Jahre – nach dem als fortschrittlich geltenden Konzept von „Leben und Arbeiten“ umzusetzen.
In der Simultanhalle stehen Brücken und Poller als raumordnende Elemente für die Setzung und Überwindung von Hindernissen, wie man sie in ihrer ordnenden und leitenden Funktion im ganzen Stadtraum von Chorweiler vorfinden kann. Wolf von Kries übersetzt diese Funktionen in eine Serie von Objekten und Projektionen, in denen die ökonomischen und ökologischen Folgeerscheinungen als nicht planbares chaotisches Eigenleben sichtbar werden.
Integraler Bestandteil der Ausstellung ist ein Spaziergang, der von der Simultanhalle seinen Ausgangspunkt nimmt und über die Brücke nach Chorweiler in einem Rundgang durch die Trabantenstadt führt.
(1) Die Brombeere (Rubus sectio Rubus) gehört zur Gruppe der Stolonen (Ausläufer), die über ihre brückenartigen Zweige erneut wurzeln und nach ihrer Abtrennung als eigenständiges Lebewesen mit identischem Gencode (Klon) fortexistieren können.
(2) Flechten (Lichen) sind symbiotische Lebensgemeinschaften zwischen einem Pilz, dem so genannten Mykobionten, und einem oder mehreren Photosynthese betreibenden Partnern, zumeist Grünalgen (Chlorophyta). Flechten besiedeln unterschiedlichste Standorte wie Beton, Gesteine, Böden und selbst verrostetes Metall, da sie ihren Stoffwechsel mit geringen Mengen an Mineralstoffen aus Staub oder Nährstoffen, die im Regenwasser enthalten sind beziehungsweise aus dem Untergrund gelöst werden, generieren. Viele Flechten wachsen nur sehr langsam, meist nur wenige Millimeter im Jahr, einzelne Arten sogar nur Bruchteile eines Millimeters und zählen zu den langlebigsten Lebewesen überhaupt mit einem Alter von mehreren hundert Jahren, in Einzelfällen sogar von über 4.500 Jahren.
* 1971, lebt und arbeitet in Berlin.