04. – 31.10.2009
Die Redewendung „Ein Brett vor dem Kopf haben“ bedeutet bekanntlich, dass man sich mit dem Verstehen etwas schwer tut. In der Ausstellung von Patricia Bucher haben die Besucher viele Bretter vor den Köpfen. Eine ganze Wand aus Brettern, in welche die Schweizer Künstlerin Schimpfworte eingebrannt hat. Zwei Fragen drängen sich unmittelbar auf: Wer schimpft? Und vor allem: Wer wird beschimpft? Also etwa: Die Künstlerin schimpft und möglicherweise bin ich selbst gemeint und werde beschimpft. Ist das möglich? Kann es sein, dass ich die weite Fahrt in die Kölner Peripherie unternommen habe, um jetzt vor einer alten Bretterwand im Sand zu stehen und Ganove genannt zu werden? Bin ich – sozusagen nicht nur räumlich, sondern auch atmosphärisch – am Ende der Welt angelangt, um beschimpft zu werden? Persönlich kann es jedenfalls nicht gemeint sein, da ja niemand wissen konnte, dass ich hier erscheinen würde. Sagen wir also lieber: Jemand Unbekanntes beschimpfte jemand Unbekannten. Kurzum: Es wurde geschimpft. Das ist nicht ungewöhnlich, sondern durchaus menschlich. Jemand tut etwas, das anderen nicht gefällt, und der aufkeimende Unmut entlädt sich in Beschimpfungen. Er wird sozusagen kanalisiert und in Formen gepresst, und die Unmutsbehälter oder Unmutsstellvertreter heißen Schimpfworte. Als solche sind sie eingebrannt in den allgemeinen Sprachschatz und damit Teil unseres kulturellen Gedächtnisses. Welches Fehlverhalten die Beschimpfungen im Einzelnen auslöste, ist dagegen längst vergessen. Man weiß nur noch, dass etwas passiert ist, das eines kritischen Kommentars bedurfte. Wie meine Fußabdrücke im Sand verweisen die eingebrannten Begriffe auf die Anwesenheit des Abwesenden. Und markieren dazu eine psychologische und vielleicht auch moralische Grenzziehung. Offensichtlich gab es nämlich eine Situation, in der jemand dachte „bis hierhin und nicht weiter“. Die Grenze wurde aber dennoch überschritten und dann wurde geschimpft. Die Beschimpften wiederum hießen dann nicht mehr Klaus, Burckhard, Holger oder Daniel, sondern Lump, Kapitalverbrecher, Halsabschneider oder Frevler. Sie wurden also begrifflich auf ihr Fehlverhalten reduziert. Genauso wie Wände einen Innenbereich eingrenzen und damit einen Außenbereich abgrenzen, betonen Begriffe bestimmte Aspekte und schließen andere aus. Wände und Begriffe verhindern gleichermaßen den Durchblick. Was hinter ihnen steckt, ist nur bedingt zugänglich. Sie sind Bestandteil des kommunikativen Raumes, aber dennoch anti-dialogisch. Sie stehen zwischen den Menschen, aber vermitteln nicht.
Ist es das, was hier zu erfahren ist? Vielleicht nicht. Es ist aber auch schwierig, etwas zu verstehen, wenn man so viele Bretter vor dem Kopf hat.